
Pandemie und wie weiter? — Emmanuelle Castellan 02.10.2020 von J. Emil Sennewald Fortsetzung der Interview-Serie, die in der Juni-Ausgabe des Kunstbulletin begann und auf Distanz Nähe versuchte zum künstlerischen Prozess, zu persönlichen und professionellen Aussichten auf auf eine mögliche Zukunft. Gemeinsamer Nenner der Stellungnahmen war die Anerkennung eines grundlegenden Wandels im Kunstbetrieb – der auch fällig wäre. Während nach Lockerung der Ausgangsbeschränkungen, allfälligen Urlaubsreisen und der Wiederaufnahme des Betriebes in Frankreich ein zweiter Lockdown beginnt, zeigen sich die Konsequenzen gewünschter Verdrängung: die Realität bricht ein. Um sie zu gestalten, sind andere Aussichten nötig, die nicht auf ein Danach hoffen, das Jetzt fürchten, sondern mit dem Gegenwärtigen kreativ und engagiert umgehen. Da sie solche bietet, wird die Serie in loser Folge weiter hier veröffentlicht, um zum Nachdenken anzuregen darüber, was wird, mit der Kunst. Fenster zur Welt? Sennewald: Mit Deiner künstlerischen Arbeit als Malerin findest Du neue Wege, das Tafelbild als „Fenster zur Welt“ in Frage zu stellen, indem Du die Verwandtschaft mit dem Kino aufgreifst, sie mit Einschnitten in eine zauberhafte Dimension der Malerei verschiebst, die besonders in den letzten Arbeiten des Monats März zum Vorschein kommt. Die Betrachtenden geraten gleichzeitig hinter das Bild und mitten in die Malerei. Wie sieht für Dich, durch Deine Arbeit angeschaut, die Welt heute aus? Was wäre zu tun, was zu lassen? Castellan: Den Lockdown habe ich zunächst als Chance erlebt: bei mir zuhause arbeiten können, ungestört. Aber rasch zeigte sich, dass ich sehr viel weniger Zeit hatte als gedacht. So war ich zum Beispiel stundenlang eingespannt vor dem Bildschirm, weil der Unterricht an der Kunsthochschule weiter ging. Auch hat sich im Alltag viel weniger geändert, als es schien. Das wiederum steht im Verhältnis mit meiner Malerei: sie folgt ihrer eigenen Zeitlichkeit. Auch wenn ich viel oder schnell malen will, bleibt diese eigene Zeit der Malerei bestimmend, egal, was sonst passiert. Es gab noch einen anderen Effekt: ich beobachte heute fast einen Zwang zur Kontrolle. Alles muss kontrolliert werden. Wenn ich male, geht es gerade darum, das nicht zu können. Loslassen-Können scheint mir jetzt ein sehr wichtiger Aspekt. Speziell angesichts einer Realität politischer Entscheidungen, die um jeden Preis auf Weitermachen setzen: das finde ich geradezu absurd, jetzt, da alle durch diese Pandemie verzweifelt, ermüdet sind. Hier braucht es nicht eine Autorität, die ein schlechtes Gewissen macht, zur Arbeit antreibt. Es braucht vielmehr eine neue Aufmerksamkeit, Sorge für die Menschen, Zuwendung, die ich allerdings vermisse. In meiner Malerei ging es mir zu Beginn viel um die paradoxale Eigenschaft des Gemäldes, zugleich in eine Bildrealität blicken zu lassen und mit diesem „Fenster“, das ein Bild-Schirm ist, die Wirklichkeit zu verdecken. Später kam ein Interesse für die Materialität der Malerei hinzu, speziell durch die Einschnitte in die Leinwand. Dabei geht es aber nicht so sehr um malerische Gesten, sondern um die Erfahrung einer realen Gewalt der Bilder. Mir geht es darum, diese Realität der Bilder durch Malerei zu dekonstruieren. Ich möchte das Bild auf eine Weise behandeln, dass man sich absorbiert fühlen kann von einer Präsenz und einer Intimität, die aus der Materialität der Malerei hervorgeht. Und das, ohne zu vergessen, dass der Fakt, etwas anzusehen oder einen bestimmten Blickpunkt vorzugeben inhärent von Gewalt durchlaufen wird. Das ist die Beziehung zum Körper, wie ich sie mit meiner Malerei bearbeite: er ist als abwesender präsent in einer Malerei, die mit und aus Gewalt entsteht. Berlin, 15. Juni 2020 Link: https://emmanuellecastellan.net/ Die Arbeit von Emmanuelle Castellan ist im Rahmen der Gruppenausstellung „Staying with the trouble in painting“, veranstaltet vom Espace Mourlot im Building Canebière in Marseille, noch bis 5.11. zu sehen. https://p-a-c.fr/les-membres/espace-mourlot/staying-with-the-trouble-in-painting-building-canebiere J. Emil Sennewald, Kritiker und Journalist, unterrichtet an der Kunsthochschule ésacm in Clermont-Ferrand und der F+F Schule in Zürich, berichtet seit über 15 Jahren über Kunst aus Frankreich. emil@weiswald.com, www.weiswald.com
Lucile Bouvard, Bar Babette, Berlin, 2018
Emmanuelle Castellan’s pictorial practice extends from a classical form of painting to three dimensional flat pictorial sculptures, and site-specific wall-painting environments. The artist finds her inspiration in a wide range of images found in postcards, magazines, old photographs, illustrations from the Internet — mainly rooted in popular culture — taken as such or recomposed. The artists repeat the image several times, before systematically effacing it and starting over. What remains from this process are residual elements, marks that eventually becomes the really subject of the painting. Often repeated or emerging through the gradient of pastel colors of the painting’s surface like “surviving images”, they set the clues of elusive narratives and ghost stories.
Shown for the first time at Bar Babette, Double hands is the results of various experiences, folding and painting applied by the artist. Two hands emerge from the fold in a mirroring effect: one painted, and seemingly human, just appears onto the surface of the canvas, the other both painted and cut seems coming out and is endowed with animal features. Its claws-like nails transfer the latter into a hybrid anthropomorphic and bestial being and conjure up a mysterious and powerful presence. Stemming from various inspiration sources, it calls to mind iconic works by Meret Oppenheim or designer Elsa Schiaparelli, two « women-witches » as the artists call them, these female artists have open a path which allows her to explore freely “ethereal places from the realm of the touch, sometimes somehow dark or very soft”. (her tactile experience of painting making with softness or a hint darkness.
The painting elastic boards was primarily inspired by a vase of architect and designer Josef Hoffman. The features of the vase have almost disappeared and are merely outlined by two curve cuts. Its decoration has muted into a large colored opening in the shape of a mouth or the outlines of an eye. The paintings is marked on its size by the artist’s fingerprints. She left it in the fresh paint, when trying once to manipulate it like an antic mask. This anecdote is quite revealing of the artist tactile and sensual relation to her medium and of the open-up nature of picturial practice.



Simone Zaug, Kurt Kurt, Berlin, 2018
Bei Emmanuelle Castellan wird die Malerei zu einem sich ständig verändernden, instabilen Prozess, der auch Zeit als Dimension mit einbindet. Die Materialität ihrer Malerei und die Entgrenzung ihrer Bilder führen dazu, dass Raum als Ort der Verwandlungen, des Widerspruchs, der Entzifferungen betrachtet werden kann. Innerhalb und außerhalb des Rahmens ihrer Bilder interessiert Emmanuelle Castellan besonders der Körper, der oft einer Identifikation entgleitet oder sogar entflieht.
Ihre Kunst stellt nicht nur Fragen an die Malerei, sondern auch nach Raum, Zeit und Bewegung. Nicht das Sichtbarmachen steht im Vordergrund, vielmehr beschäftigt sich die Künstlerin mit dem Verstecken, Verhüllen oder nur vagen Vorschlagen von Bildern bis zu dem Punkt, an dem die Bilder zwischen Zeichen und Gesten unlesbar werden. So verbindet Emmanuelle Castellan in ihren Bildern unvorhersehbare und widersprüchliche Aspekte mit fragilen und prekären Existenzformen.
In ihren jüngsten Forschungen verbindet sie die Anfänge der Moderne, z.B. Verweise auf Objekte und Skizzen von Josef Hoffman oder den Tanz von Pina Bausch und Mary Wigman, mit der Darstellung des Körpers in flüchtig digitalen Werbespots im heutigen Internet.
Für die Ausstellung im Kurt-Kurt inszeniert die Künstlerin eine mehrteilige Reise, die uns von der Malerei über den Raum zum Körper führt.
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